
Der Modefotograf und Autor Michael Reh hat im Kindesalter sexuelle Gewalt innerhalb seiner Familie erleben müssen. Er sieht sich nicht als Opfer, sondern als Überlebender – und möchte das Tabu-Thema sexuelle Gewalt sichtbar machen, um möglichst viele Kinder und Jugendliche vor dem selben Schicksal zu bewahren. Auf seiner Lesereise hat er Halt in Künzelsau gemacht, mit einer Lesung zum 20-jährigen Bestehen der Informations- und Kooperationsstelle gegen häusliche und sexuelle Gewalt im Hohenlohekreis, deren Träger das Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg ist.
Im Mai 2001 hat die Fachberatungsstelle gegen sexuelle und häusliche Gewalt an Mädchen und Jungen mit ihrer Arbeit in Künzelsau begonnen. Ein Grund zu feiern – aber auch Anlass zurückzublicken auf eine intensive Zeit. Es gab viele Pläne für das Jubiläumsjahr. Doch aufgrund der Corona-Pandemie mussten sie angepasst, verschoben, verändert werden. Die Lesung mit Michael Reh konnte jedoch stattfinden.
In seinem Buch „Katharsis – Drama einer Familie“, einem auf autobiografischen Elementen basierenden Roman, verarbeitet der international erfolgreiche Werbe- und Modefotograf seine persönlichen Erlebnisse. Im Alter von vier Jahren wurde er zum ersten Mal von seiner Tante missbraucht. „Da passiert mit dir als Kind etwas, was du gar nicht realisieren kannst. Das ist ein dermaßen großer Übergriff von einem Erwachsenen, der natürlich eine Machtposition hat, allmächtig ist“, sagte Michael Reh 2020 in einem Gespräch mit dem stern.
Reh, noch ein Kind, wurde depressiv. „Ich habe nichts gegessen und wurde deshalb für sechs Wochen in ein Kinderheim geschickt. Das war damals normal, wenn ein Kind krank war. Aber das hat das Gefühl in mir nur bestärkt: Ich bin schuld, ich werde weggeschickt“, so Reh im stern-Interview. Schuld und Schande seien für ihn die wichtigsten Begriffe, wenn man verstehen wolle, wie ein missbrauchtes Kind sich fühle.
In Rehs Fall dauerte es rund zwanzig Jahre, bis er das Verbrechen, das an ihm begangen wurde, einordnen und emotional realisieren konnte. Die einzelnen Taten: längst verjährt. Heute lebt der Fotograf und Autor in den USA, ist unter anderem bekannt durch seine Arbeit für Prominente, Lambertz, GNTM, Armani sowie seine Ausstellung „Traffic“. Mit seiner Geschichte und seinem Buch will er andere Betroffene motivieren, sich selbst aus ihrer emotionalen Gefangenschaft zu befreien. Er will ihnen Mut machen und die Gesellschaft für das Tabu-Thema sexuelle Gewalt sensibilisieren.
Das will auch die Infokoop. Die Fachberatungsstelle leistet einen professionellen Beitrag zur Prävention von häuslicher und sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen. Prävention ist Aufgabe von Erwachsenen. Sie tragen die Verantwortung für den Schutz von Kindern. Wenn Sie über häusliche und sexuelle Gewalt sprechen und über fachliches Wissen verfügen, können Sie Täter*innenverhalten und Gewalt an Mädchen und Jungen eher erkennen und Betroffenen helfen. Möglichst viele Menschen, die Verantwortung für Kinder tragen, sollen durch das Angebot der Infokoop befähigt werden, häusliche Gewalt frühzeitig zu beenden oder zu verhindern. Ziel ist, der Gewalt entgegenzuwirken, Schutz und Hilfe für die direkt und mittelbar Betroffenen zu verbessern und Täter*innen Grenzen zu setzen.
Nähere Infos zur Fachberatungsstelle gegen sexuelle und häusliche Gewalt an Mädchen und Jungen gibt es hier.
Susanne Wirth, Kinderdorf Waldenburg,
und Sabrina Banze, Bundesverband