In einer Großfamilie geht es selten ruhig zu. Bei der Kinderdorffamilie von Maren Halle-Krahl in Neubeuern, Bayern, ist das nicht anders. Das Oberbayrische Volksblatt hat die Familie einen ganzen Tag lang begleitet.

David (11) schlurft als Erster ins Bad. Mit Karacho schlägt er die Tür hinter sich zu. 6.20 Uhr im Kinderhaus Kerb in Neubeuern vom Albert-Schweitzer-Familienwerk Bayern, jetzt sind alle wach: Auch Samantha (15), Lorena (14), Sonja (11), Maxi (9), Roman (8) und Benjamin (7). Aber das heißt noch nichts. Wer wohl heute eine Extra-Einladung braucht? Der Schulbus wartet nicht – auch nicht auf Buben und Mädchen aus dem Kerbhaus, die schon so viel Pech gehabt haben in ihrem noch so jungen Leben. Aber Maren Halle-Krahl kriegt es sicher wieder hin, dass alle sieben Kerbhauskinder pünktlich an der Haltestelle stehen.

Schon seit 2005 leitet Halle-Krahl das Kinderhaus. Wenn es jemand schafft, aus einem bunt zusammengewürfelten Haufen Kinder mit schwierigsten Biografien eine große Familie zu machen – dann sie. Natürlich ist Halle-Krahl schon wach, als Frühaufsteher David für Knalleffekte sorgt. Jetzt bremst sie den Tatendrang von Maxi, Benni und Roman. Die drei haben ja noch Zeit zum Wachwerden. Bloß dass sie das jetzt nicht interessiert. Aber bitte nicht alle auf einmal ins Bad – zu spät. Sie sind drin. Es ist der vorletzte Tag vor den Weihnachtsferien, kalt draußen. Das heißt: Mützenpflicht. Zu spät: Der erste Kopf ist schon nass, also trocken föhnen. Die Frisur ist wieder ruiniert. Erwachsene haben eben keine Ahnung, was cool ist. Roman schafft es als Erster an den Frühstückstisch. Eins ist klar: Er hat die Zähne geputzt. Zahnpasta klebt noch an der Backe. Das Hemd hängt aus der Hose, der Pullover ist verkehrt herum. Aber warum sich ums Frühstück oder Pausenbrot kümmern, wenn es noch so viel zu erzählen gibt? Manchmal ist es zum Verzweifeln.

Die großen Mädchen kommen herunter, wie üblich sind Samantha und Lorena die Letzten am Tisch. Jetzt wird‘s erst richtig kompliziert. Jede Kleidernaht muss sitzen, der Look exakt zur Tagesverfassung passen.

Und am „Bad-hair-day“ ist sowieso Drama angesagt. Einen Make-up-day können sich die Drama-Queens ganz abschminken. Andere Mädchen dürfen sich schon im Kindesalter bunt im Gesicht anmalen, wenn sie in die Schule gehen. Nur Frau Halle-Krahl erlaubt das nicht. Einfach nur fies!

Puh, 7.30 Uhr, alle Kinder aus dem Haus – ungeschminkt. Jetzt wiehern die Pferde. Auch sie haben Hunger. Erledigt, eine zweite Tasse Kaffee. Dann geht’s ins Büro. Kaum zu glauben, was sich da an Papierkram anhäuft. Gut, dass Maren Halle-Krahl nicht allein ist im Kinderhaus. Haushalt, Außenanlagen, Kochen, Waschen, Einkaufen: Ein tolles Team packt in Pinswang jeden Tag an. Wofür? Damit es ab etwa 12 Uhr wieder rund gehen kann.

Benjamin ist als Erster daheim, schüttelt den Ranzen vom Rücken und wirft ihn mitten in den Flur. Hände waschen? Brotdose und Flasche rausholen? Ja gleich, erst muss noch der volle Kopf leer gemacht werden. Es sprudelt nur so aus Benni heraus. Mit großen Augen erzählt er seine Geschichten. Ein Bub zum Gernhaben. Kaum zu glauben, dass es vor Jahren geheißen hat, er sei so extrem schwierig und unerträglich, dass ihn seine Familie lieber abgibt als ihn zu misshandeln. Um 13.20 Uhr sitzen sie alle am Tisch, jeder will jetzt zum Zug kommen: beim Mittagessen und beim Erzählen. Dann wird es still – Hausaufgabenzeit. Erst gegen 15 Uhr kommt wieder Leben in die Bude. Die Kinder gehen in einen Sportverein, treffen Freunde oder laden sie zum Spielen ein. Wenn jemand zum Arzt muss oder eine Therapie bekommen soll, wird er begleitet.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Abendbrot, und schon wartet der abendliche Badezimmer-Wahnsinn. Irgendwann fallen die Augen zu. Bis alle Bewohner
wieder von David mit einem lauten Türknaller mitten aus dem Schlaf gerissen werden.

Quelle: OVB, Bild: Albert-Schweitzer-Kinderdorf Waldenburg