Waldenburg/Berlin. Pünktlich zum Internationalen Kinderbuchtag hat die Kinderdorffamilie Schwan aus dem Albert-Schweitzer-Kinderdorf Waldenburg zusammen mit ihren sieben Pflegekindern bereits das zweite Märchenbuch fertiggestellt. Die Kinder erfahren bei diesem intensiven Prozess, wie wichtig Freundschaften und Zusammenarbeit für das soziale Miteinander sind. Sie lernen andere Kulturen kennen und stellen fest, dass es viele „Andere“ auf dieser Welt gibt.

Lesen gehört in den Albert-Schweitzer-Kinderdörfern zum Alltag. Märchen schreiben ist jedoch ein Abenteuer. Als die Kinderdorffamilie Schwan sich dem Thema stellte, war nicht klar, ob das Pilotprojekt von Erfolg gekrönt sein würde. Heute, zwei Jahre nachdem ihr erstes Märchenbuch erschienen ist, hat die Familie nun das zweite Buch „Theodor, das kleine U-Boot und seine abenteuerliche Reise um die Welt“ fertiggestellt. Der neue Held ist ein kleines U-Boot namens Theodor, das auf der Suche nach seinen Eltern die Weiten der Weltmeere bereist. Die freundlich-fremden Protagonisten des ersten Märchen-bandes bleiben selbstverständlich mit im „Boot“!

Für den zweiten Band setzten sich die Kinderdorfkinder mit illustrierten Atlanten und informativen Büchern hin und bereiten die einzelnen Länder für eine weltumspannende U-Boot-Exkursion vor. Wie für Leon entstanden viele Fragen für die Kinderdorfkinder: „Was sind die Besonderheiten der ausgesuchten Länder? Wie unterscheidet sich das (Kinder-)Leben dort von dem hiesigen?“.

Mit Neugierde und Akribie informierten sie sich über die ausgesuchten Länder – Abenteuerlust und Motivation entstanden. Die Phantasie begann automatisch zu arbeiten. „Sie spürten, es geht voran“, so Kinderdorfmutter Silke.

Warum Märchen schreiben heilsam ist!

„Zum gemeinsamen Schaffensprozess gehören Misserfolge genauso dazu wie Erfolge“, das weiß Kinderdorfvater Thomas, aber „die kleinen Schriftsteller lernen dabei Lösungen zu finden und umzusetzen“. Kinderdorfmutter Silke Schwan erzählt: „Wir konnten richtig spüren, wie die Kinder über ihre eigenen Leistungen regelrecht staunten.“

Während des langen und intensiven Prozesses erfahren die Kinderdorfkinder auch, wie wichtig Freundschaften und Zusammenarbeit für das soziale Miteinander sind. Sie lernen andere Kulturen kennen und stellen fest, dass es viele „Andere“ auf dieser Welt gibt und müssen sich nicht mehr alleine fühlen mit dem eigenen „Anderssein“. „Unser Ziel ist, dass sich die uns anvertrauten Jungen und Mädchen zu integrierten Menschen entwickeln, die Achtung vor sich und dem Anderen haben. Aus der Achtung für den Anderen kann sich allmählich auch eine gefestigte Selbstachtung entwickeln“, so Kinderdorfmutter Silke.

Das erste Märchenbuch der Kinderdorffamilie „Ferdinand, die Wilde Rosa und die fliegenden Hamster“ ist bereits im Verlag Der Märchenkönig erschienen.

Märchen als Teil der pädagogischen Arbeit im Kinderdorf

Märchen gaben früher wichtige Inhalte aus dem Erfahrungsschatz des menschlichen Lebens weiter. Sie wurden in der Gemeinschaft erzählt und richteten sich an Kinder und Erwachsene, Gebildete und Ungebildete. Sie halfen, gefährliche Situationen, die eine Seele im Laufe ihrer Entwicklung erfährt, zu erkennen und zu vermeiden. Insbesondere Gefahren, die von bösen Menschen – oft als gute Menschen getarnt – ausgehen, wurden thematisiert Märchen transportierten für alle hörbar oder lesbar die guten und schlechten moralischen Werte.

Wichtig war, dass Hörer und Leser sich mit den Helden identifizieren konnten und so Archetypen entstanden, die entweder für Gut oder Böse standen. Die Figuren und Handlungen waren stark vereinfacht und die Charaktere einfach und klar. Die Seele des Menschen erkennt diese Archetypen intuitiv, ohne dass das Bewusstsein dies reflektieren muss. „Märchen können unsere Pflegekinder warnen und schützen. Sie entwickeln dadurch eine wesentliche Bedeutung für die emotionale und soziale Entwicklung der uns anvertrauten Kinder.“ so berichten die Kinderdorfeltern Silke und Thomas.

Ein erster Erfahrungsbericht zur Märchen-Schreibwerkstatt

Neben den sieben Pflegekindern der Kinderdorffamilie legte besonders Leon Nicolic, ein damals achtjähriger Junge, mit seiner Phantasie den Grundstein für die 20 spannenden Geschichten im ersten Märchenbuch. Die Geschichte mit „Ferdinand, der Wilden Rosa und den fliegenden Hamstern“ war von Anfang an ein Abenteuer zwischen Aufgeben und Weitermachen in der „Schreibwerkstatt für Kinder“! „Für uns war es eine Chance, die Seelen der Kinder durch positive Erfolgsgeschichten zu beflügeln und zu heilen“, so Kinderdorfvater Thomas.

Zusammen geht es meistens leichter!

„Wir, die Kinderdorfeltern, mussten am Anfang die vielen Ideen, die aus den Kindern nur so heraus sprudelten, aufschreiben“, erklärt der Kinderdorfvater. Sehr schnell entwickelten sich die einzelnen Facetten zu einer Story – die einer wunderbaren Freundschaft zwischen dem kleinen Falken, der jungen Ente, zwei kleinen Hamstern, einer alten Eule und dem tollpatschigen Bären. Sechs tierische Freunde, die unterschiedlicher nicht sein könnten, erleben in einer völlig verdrehten Welt ungewöhnliche Abenteuer. Sie lernen, dass sie alle zusammenhalten müssen, wenn sie was erreichen und verändern wollen!

Und dieser Gedanke ist die Grundlage der Schreibwerkstatt geworden. Ohne diese Basis gäbe es keine Fortsetzung, kein neues Ziel.

Und es geht weiter!

Hintergrundinformationen

In den fast 100 Albert-Schweitzer-Kinderdorffamilien deutschlandweit leben Kinder und Jugendliche, die eine sehr schwierige familiäre Vorgeschichte mitbringen. Bei vielen dieser Kinder war der Alltag durch Gewalt oder Vernachlässigung geprägt. Geborgenheit und Liebe sowie pädagogisches Wissen und Können ist notwendig, um den Kindern bestmögliche Entwicklungschancen zukommen zu lassen.

Die Kinderdorfeltern

Silke Schwan als Diplom-Ökonomin und Erzieherin ist heute Kinderdorfmutter. Thomas Schwan arbeitet nach seinem Studium der Germanistik, Psychologie und Theaterwissenschaft als Personal- und Management-Coach. Beide sind Autoren von literarischen Texten und Fachartikeln und leben heute mit sieben Kinderdorfkindern, Hund und Katze in Waldenburg.

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