Die Patchworkfamilie gilt bei einigen Familienforschern als das Familienmodell der Zukunft. Immer mehr Kinder und Jugendliche wachsen nicht nur in einer, sondern in mehreren Familien auf. Diese Familienform bringt Chancen, aber auch einige Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Dazu zählt auch, dass Kinder aus Patchworkfamilien gegenüber Kindern aus traditionellen Familien ein 56-fach erhöhtes Risiko haben, in der stationären Jugendhilfe untergebracht zu werden.

Aufgrund dieser Tatsache hat das Albert-Schweitzer-Kinderdorf Waldenburg im Herbst 2018 das vom Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) Baden-Württemberg geförderte Modellprojekt „Familie 2.0 – Patchwork-Konstellationen in der Kinder- und Jugendhilfe“ gestartet. Das Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM) hat das Projekt wissenschaftlich begleitet. Nach vier Jahren Laufzeit wird es nun abgeschlossen.

Martina Roet leitet das Projekt im Kinderdorf Waldenburg. Die Sozialarbeiterin und Familientherapeutin hat reichlich Erfahrung mit hochkomplexen Familiensystemen und den Herausforderungen, die mit ihnen einhergehen, denn in der stationären Erziehungshilfe sind sie häufig anzutreffen. Roet berichtet von Kindern und Jugendlichen, die aus sehr konfliktreichen Konstellationen ins Kinderdorf kamen: „Viele von ihnen hatten Probleme, ihren Platz zu finden.“ Auch, weil grundlegende Fragen nicht geklärt waren. Etwa: Wie leben wir als Familie zusammen? Was braucht jedes Familienmitglied?

Weil Patchworkfamilien spezifische Unterstützung benötigen, sollte im Rahmen des Modellvorhabens ein Konzept zum Umgang mit solchen komplexen Familiensystemen entwickelt und erprobt werden. Das Ziel: die Hilfe so zu gestalten, dass für die betroffenen Kinder und Jugendlichen Loyalitätskonflikte minimiert werden und sich Chancen eröffnen, möglichst sinnvolle und tragfähige Kontakte zu ihren Familiensystemen zu entwickeln und zu halten. Viele Praxiserfahrungen wurden im Rahmen des Projekts zusammengetragen, das Kinder, Jugendliche und Eltern gleichermaßen im Blick hatte – ihren Alltag, ihre Bedürfnisse, ihre Gefühle. „Wir möchten unser Wissen weitergeben und so konkret Familien helfen“, betont Roet. Das Kinderdorf, in dem sie arbeitet, sieht sie als eine Art professionelle Patchworkfamilie: „ein sicherer und neutraler Ort im Gewurschtel“.

Entstanden ist im Rahmen des Projekts auch ein Video, das sich speziell an Kinder aus Patchworkfamilien richtet. „Für die Kinder ist Patchwork anders als für die Erwachsenen“, weiß Martina Roet. „Ist es okay, wenn ich den neuen Partner meiner Mutter nicht mag? Das sind Fragen, die Kinder beschäftigen. Denn für sie endet die Trauerphase über die Trennung der Eltern nicht mit der neuen Liebe von Mama oder Papa.“

„Familien sind verschieden. Und das ist in Ordnung so“, betont Martina Roet. Genau wie die Empfindungen der einzelnen Familienmitglieder. Hinter jedem Gefühl stecke ein Bedürfnis. Deshalb lautet Roets Kernbotschaft an die Kinder: „Alles, was du fühlst, ist wichtig – und okay.“

Mit einem informativen Fachtag am 31. Mai 2022 findet das Projekt nun im Hospitalhof Stuttgart seinen Abschluss. Die Veranstaltung unter der Überschrift „Platzkarte gesucht“ richtet sich an Leitungs- und Fachkräfte aus den ambulanten und stationären Erziehungshilfen. Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Modellprojekt werden vorgestellt und es besteht die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und zur Diskussion. Anmeldungen sind noch bis zum 2. Mai hier möglich.

Hier finden Sie den Flyer zur Veranstaltung.

Sabrina Banze, Bundesverband