Jana* ist sechs Jahre alt, ihr kleiner Bruder Theo* vier. Die beiden haben noch eine große Schwester. Im Gegensatz zu ihnen durfte sie bei den Eltern bleiben. Die beiden Jüngsten nahm das Jugendamt zu ihrem Schutz in Obhut. Mutter und Vater waren überfordert. Die Polizei fand die Kleinen eines Tages spät abends allein auf der Straße. Zusammenbleiben konnten die Geschwister nicht: Vier Monate lang lebten sie getrennt voneinander und vom Rest ihrer Familie in verschiedenen sogenannten Clearingstellen. In einer Erziehungsstelle eines Albert-Schweitzer-Kinderdorfes haben die beiden nun ein gemeinsames neues Zuhause gefunden.

„Uns ist wichtig, auch bei einer Fremdunterbringung so viel Familie wie möglich zu erhalten“, sagt Inka Peters, Geschäftsführerin im Familienwerk Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied im Bundesvorstand der Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und Familienwerke. „Dazu gehört auch, dass Geschwister zusammenbleiben können, sofern es nicht unter ihnen zu Übergriffen gekommen ist. Eine Trennung von den Eltern ist schon schwierig genug, was auch immer zuvor vorgefallen ist. Die Kinder haben oft schon viel Schwieriges gemeinsam durchgemacht. Ihre Beziehung zueinander kann ihnen dabei helfen, diese Erfahrungen zu verarbeiten – und gemeinsam zu heilen.“

Vier Monate allein unter fremden Menschen – dass das für ein kleines Kind nicht einfach ist, auch wenn es immer wieder Kontakt zu den Eltern und Geschwistern hat, dafür braucht es nicht viel Vorstellungskraft. Der Umzug in die Erziehungsstelle, acht Autostunden entfernt von der elterlichen Wohnung, war nicht weniger emotional für Jana und Theo: „Das ist einfach überwältigend für ein Kind“, weiß Inka Peters. „Die Kolleginnen, die die beiden abgeholt haben, hatten Fotos dabei, damit die Kinder eine Idee davon bekommen, was sie erwartet. Aber es blieben zunächst fremde Menschen, ein fremdes Haus.“

Die Geschwister waren froh, wieder zusammen zu sein. Am Tag vor dem Umzug trafen sie sich auf einem Spielplatz. Theo hätte seine Schwester am liebsten gar nicht mehr losgelassen.

In ihrem neuen Zuhause scheinen die beiden sich wohlzufühlen. Sie schlafen gut und essen mit Appetit, haben Vertrauen zu ihren Betreuer*innen gefasst. Seit Mitte April gehen sie in den Kindergarten.

Die Oma von Jana und Theo wohnt ganz in der Nähe. Ihre Eltern, die engagiert mit dem Jugendamt und der Einrichtung zusammenarbeiten und viel mit ihren Kindern telefonieren, sowie die große Schwester werden bald nachkommen. Die Familie stammt ursprünglich aus der Region und hatte bereits geplant, zurückzuziehen – deshalb hatte das Jugendamt hier nach einem Platz gesucht. Eigentlich zunächst nur für Jana. „Auch in den Jugendämtern schwindet angesichts der bundesweit sehr angespannten Situation wohl die Hoffnung, Geschwister gemeinsam unterbringen zu können“, vermutet Inka Peters.

Es wird dauern, bis die Entwicklungsverzögerungen, mit denen Jana und Theo in der Erziehungsstelle ankamen, nicht mehr spürbar sind. Doch die Kinder bekommen therapeutische Unterstützung. Und viel Liebe. Sie geben sich auch gegenseitig Halt. „Wir sind froh, dass wir das in den Albert-Schweitzer-Kinderdörfern und Familienwerken ermöglichen können“, sagt Inka Peters.

Sabrina Banze, Bundesverband
Symbolfoto: Konstantin Börner

*Namen zum Schutz der Kinder geändert