Bild 1: 30. November 2015: Karin Kendlinger sitzt im soeben eröffneten Rosenhof auf dem Bett von Jana (10). Am nächsten Tag zog die Hausmutter dort zusammen mit elf Kindern ein.

Bild 2: Erwartungsfroh: Rosenhof-Leiterin Maren Halle-Krahl am 30. November 2015 im Zimmer von Amadeo (5), der einen Tag später in sein neues Kinderzimmer zog.

Von einem Tag auf den anderen fanden sich elf Kinder plus Erwachsene im Kinderdorf Rosenhof in Pinswang zu einer Familie zusammen. Wie das ging und von welchen Emotionen das begleitet wurde, beschreibt das Oberbayrische Volksblatt, dass das Albert-Schweitzer-Kinderdorf besuchte.

Der 1. Dezember 2015 – was war das für ein aufregender Tag in Pinswang: Von heute auf morgen mussten elf Kinder und einige Erwachsene eine Großfamilie bilden, auf Knopfdruck sozusagen. Es war der erste Tag im Rosenhof, der dank der OVB-Leser zu einem Kinderhaus umgebaut wurde.

Dustin ist eines der Kinder, die im Rosenhof in ein neues Leben starten. Seine Eltern begleiten ihn, bei Sozialwaisenkindern ist das eher die Ausnahme. Die Kinder, die im Rosenhof in Pinswang bei Neubeuern aufgenommen werden, kommen in der Regel dorthin, weil ihre Eltern mit ihren Aufgaben aus den verschiedensten Gründen überfordert waren. Weil die Eltern dabei sind, fällt Dustin der Abschied besonders schwer.

Es ist Dienstagmorgen. Auch die anderen Kinder stehen vor der Tür, erst Christian (9), dann Robert (8) und Cindy (8). Im Halbstundentakt kommen sie an, begleitet von ihren bisherigen Betreuern. „Mit der Zeit hat das Haus begonnen, wie ein Bienenstock zu summen“, erinnert sich Karin Kendlinger, die als Hausmutter mit ihren beiden eigenen Kindern ebenfalls am 1. Dezember in den Rosenhof eingezogen ist. In den Kinderdorfhäusern des Albert-Schweitzer-Familienwerks wie dem Rosenhof leben die Kinder mit ihren Betreuern und deren Kindern in familienähnlichen Verhältnissen. „Wir sind aber keine Ersatzeltern“, betont Maren Halle-Krahl, die Leiterin des Rosenhofs ist und nebenan im Kerbhaus wohnt. Die Kinder von Karin Kendlinger eingerechnet, leben elf Buben und Mädchen im Alter von fünf bis 15 Jahren im Rosenhof. Bekocht werden sie von Valentin. Er hat Fingerfood vorbereitet. Das ist praktisch und schmeckt den Kindern. Doch den einen oder anderen müssen die Betreuer auch bremsen. Manche Kinder sind aufgrund der zerrütteten Verhältnisse, aus denen sie kommen, keine regelmäßige und gesunde Ernährung gewöhnt. Deshalb schaufeln sie die Schnittchen oder Kekse förmlich in sich hinein – wer weiß schon, wann es wieder etwas gibt?

Der nächste spannende Moment: Die Kinder erkunden ihre Zimmer: Dustin (11) kennt es, von den Eltern längere Zeit getrennt zu sein – doch das war immer nur auf Zeit. Der Umzug in den Rosenhof wird längerfristig sein.

Was in dem Buben jetzt wohl vorgeht, während er seine Klamotten in den Schrank räumt, sein neues, eigenes Zimmer genau inspiziert und den Teddy noch einige Male an die richtige Stelle rückt.

An diesem Tag fließen viele Tränen. Bei Dustin sind es Tränen der Wut, nicht der Trauer. Ob es ihm im Rosenhof gut gehen wird? Vielleicht. Leichter macht das den Abschied von den Eltern aber nicht. Viele Kinder haben nicht einmal vernünftige Kleidung, wenn sie ins Kinderdorfhaus einziehen. Dafür gibt es im Rosenhof eine eigene Kleiderkammer, in der sich die Kinder bedienen können. Hier gibt es für alle Wetterlagen in allen Größen etwas für die Buben und Mädchen, von der Trainingshose bis zu den Winterstiefeln. Aus diesem Fundus werden die Kinder im Laufe des Tages ausgestattet. Die Kleiderkammer wird größtenteils durch Spenden aufgefüllt. Aber nicht nur Kleider finden Verwendung. „Eines Tages fuhr eine Frau mit ihrem Auto vor und lud ein Tischbillard aus“, erzählt Karin Kendlinger. Heute erfreut er sich großer Beliebtheit im Rosenhof.

Eine Stütze für die Betreuer ist gerade in der ersten Zeit Franziska (15). Sie kennt all die Abläufe schon, da sie am 1. Dezember aus dem Kerbhaus in den Rosenhof wechselte. Mittlerweile ist sie erwachsen und lebt schon ihr eigenes, selbstständiges Leben. Heute leben nicht mehr
alle Kinder im Rosenhof, die im Dezember 2015 dort eingezogen sind. Dario (15) und Michaela (11) sind dafür hinzugestoßen. Die Kinderdorfhäuser bekommen bei Weitem mehr Anfragen, als sie Plätze zur Verfügung stellen können.

Am Ende des Tages sind sie alle erschöpft – Kinder wie Betreuer. Wie wohl die erste Nacht wird? Um es den Buben und Mädchen leichter zu machen, ist jedes Kinderzimmer mit einem CDPlayerausgestattet. Jeder der neuen Bewohner darf sich „seine“ CD aussuchen, die leise zum Einschlafen läuft. Solche Rituale helfen, sich in der Fremde nicht völlig verloren zu fühlen. Die erste Nacht im neuen Leben ist erstaunlich ruhig. Alle können schlafen, der Morgen beginnt für die Kinder mit ihrer zukünftigen Routine. Die älteren packen ihre Schultaschen, die jüngeren machen sich bereit für den Kindergarten. Jedes der Kinder wird von einem der Betreuer begleitet und mittags wieder abgeholt. Die Kinder sollen sich sicher fühlen. Und das klappt. Schon bald ist der Schulalltag für sie Routine. Und das Zusammenleben im Rosenhof auch. Die Großfamilie auf Knopfdruck funktioniert – und das schon seit drei Jahren.

Quelle: Oberbayrisches Volksblatt