Die geplante Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung ist ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung“, kommentiert Margitta Behnke, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und Familienwerke die Nachricht, dass Union und SPD die Rechte von Kindern ins Grundgesetz aufnehmen wollen.

„Der Schutz der Kinderrechte hat für uns einen besonderen Stellenwert. Die Rechte von Kindern und Jugendlichen werden in Deutschland – mit und ohne Pandemie – tagtäglich missachtet. Teilhabe und Chancengleichheit werden oft nicht ausreichend gewährt, zu viele Kinder erfahren Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung. Viele der Kinder in unseren Einrichtungen haben massive Verletzungen ihrer Rechte erleben müssen. Die Kinderrechte im Grundgesetz sichtbar zu machen stärkt deren Bedeutung und trägt entscheidend dazu bei, dass wir als Gesellschaft bei Kindeswohlgefährdungen nicht mehr wegschauen können. Das wäre ein immens wichtiger Schritt, denn jedes in seinen Rechten verletzte Kind ist eine Missachtung der Grundprinzipien unseres Miteinanders.

Wir unterstützen daher das Aktionsbündnis ‚Kinderrechte ins Grundgesetz‘.

Eine Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung verleiht den Belangen von Kindern ein neues Gewicht. Es bleibt aber noch viel zu tun. Wir wollen, dass Kinder zu selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen, die ihre Rechte kennen, sie einfordern und auch aktiv mitgestalten können. Und dass sie bei allen Entscheidungen, die in diesem Land getroffen werden, mitgedacht werden.“

Der Kritik an der konkreten Formulierung, die bereits laut wurde, schließt sich Margitta Behnke dennoch an: „‚Angemessen‘ ist nicht genug. Damit bleibt der Koalitionskompromiss leider hinter der UN-Kinderrechtskonvention zurück, in der dem Kindeswohl völlig zurecht ein Vorrang eingeräumt wird. Kinder sind unsere Zukunft. Ihr Wohl sollte stets an erster Stelle stehen.“

Wie das ARD-Hauptstadtstudio gestern berichtet hatte, haben Union und SPD sich nach jahrelangen Verhandlungen auf die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz geeinigt. Zum ersten Mal würden die Rechte von Kindern damit ausdrücklich im Grundgesetz niedergeschrieben.

Den Berichten zufolge ist eine Erweiterung von Artikel 6 der Verfassung, in dem das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat geregelt ist, um folgende Formulierung geplant: »Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.« Eine Arbeitsgruppe von CDU, CSU und SPD, zu der auch Innenminister Horst Seehofer und Justizministerin Christine Lambrecht zählten, habe sich vor Weihnachten auf diese Formulierung geeinigt.

Umstritten war vor allem, ob das Wohl des Kindes „vorrangig“ oder „angemessen“ berücksichtigt werden solle – und damit, wie weit der Staat in den Privatbereich von Familien bei der Kindererziehung eingreifen darf. „Vorrangig“ oder „angemessen“: „Klingt abstrakt. Doch diese Formulierungen können in der konkreten Situation einen großen Unterschied machen“, heißt es im ARD-Bericht. „Das zeigt das klassische Beispiel des neuen Bolzplatzes in einer Wohnsiedlung. Welche Interessen sollen nun überwiegen: Die der Kinder, Fußball zu spielen, oder die mancher Bewohner auf Ruhe? Sollen die Interessen der Kinder nun angemessen, der Situation entsprechend, berücksichtigt werden? Oder eben doch grundsätzlich vorrangig?“

Die Union konnte sich mit ihrer Formulierung gegenüber der SPD durchsetzen, dass das Kindeswohl in Abhängigkeit von der Situation, also angemessen, berücksichtigt werden müsse. Sie hatte in den vergangenen Monaten immer wieder darauf verwiesen, dass die Belange der Kinder in mehreren Gesetzen geregelt werden: insbesondere im Jugendschutzgesetz, im Kinder- und Jugendhilfegesetz und im Bürgerlichen Gesetzbuch. Man dürfe nicht jedes Gesetz, das sich mit Kindern beschäftige, auch automatisch zum Verfassungsrecht erheben, so Unions-Fraktionsvize Frei. Das sei „weder erforderlich noch angebracht“.

Der Bonner Rechtsanwalt Thomas Mayen vom Deutschen Anwaltsverein kritisierte den nun kommunizierten Kompromiss gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio bereits, weil er mit der Formulierung „angemessene“ Berücksichtigung des Kindeswohls hinter der UN-Kinderrechtskonvention zurückbleibt – was auch wir beanstanden. Justizministerin Christine Lambrecht dagegen teilte am Abend mit: „Nach langem Ringen haben wir jetzt eine Formulierung gefunden, die für beide Seiten akzeptabel ist.“

Geändert werden soll die Verfassung nun noch vor der Bundestagswahl im September. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat nötig.

Sabrina Banze, Bundesverband