Ludwig ist ein von seiner Familie geliebter und seinen Lehrer*innen und Mitschüler*innen gemochter Junge, der einmal ganz viele Interessen hatte. Doch irgendwann sind sie ihm abhandengekommen…

Beamte vom Ordnungsamt und Mitarbeitende des Jugendamtes brachten den Elfjährigen zu uns in das Kinder- und Jugendhaus. Er hatte angedroht, sich in seinem Zimmer zu verbarrikadieren und meinte das bitterernst. Als er bei uns ankam, war er verweint und tat uns unendlich leid.

Zuvor hatte er über Wochen und Monate versunken in seinem Zimmer mit verhängtem Fenster gesessen und mit seinem Handy gespielt. Abgetaucht in den Tiefen des Internets… Wie lange kann man wohl so sitzen, ohne schwere Schäden an Leib und Seele davonzutragen? In der Fachsprache nennen wir das Kindeswohlgefährdung.

Alle Maßnahmen, ihm zu helfen – wie Klinik und  Familienhilfe – brachten längerfristig nichts, es gab immer wieder Rückfälle. Die Mutter setzte ihm aus Liebe keine Grenzen und der Vater wohnt weit weg. Außerdem hat Ludwig einen Dickschädel: Je länger diese Situation anhielt, desto weniger war er bereit, sich auf den Weg in die Schule zu machen. Dabei stand er am Morgen sogar auf, zog sich an – um sich dann in seinen Bürostuhl im Kinderzimmer zu setzen…

Jetzt ist Ludwig bei uns angekommen. Ganz unerwartet nimmt er seit dem ersten Tag unsere Gesprächsangebote an, macht sogar ein Brettspiel mit und wir können ihm endlich ins Gesicht und seine Augen schauen. Beim Rundgang durch unsere Einrichtung hat ihn die Holzwerkstatt mehr interessiert als die Computer in der Schule. Die Tür steht jetzt offen für einen Weg, den wir gemeinsam mit ihm und seiner Familie gehen werden.

Wir werden herausfinden, ob Ängste, Unsicherheiten, Spielsucht oder von allem etwas Ludwig am Besuch der Schule gehindert haben. Er wird Sozialkontakte eingehen, sich bewegen, Sonne tanken, spielen, lachen, lernen und der Schreck der Aufnahme wird hoffentlich bald vergessen sein.

Mandy Faßbutter, Familienwerk Sachsen-Anhalt

Dieser Beitrag ist auch in unserer KINDERLAND-Ausgabe 01/2022 erschienen, in der wir Geschichten über das Ankommen im Kinderdorf  gesammelt haben.