Lebensfreude. Wenn wir einmal genau hinschauen, finden wir sie in vielen Momenten. Ausgelöst durch Sonnenstrahlen, die uns wärmen. Das Lieblingslied, das uns mit dem Fuß wippen lässt. Vorfreude auf das Lieblingsessen zum Mittag oder eine Verabredung. Jubel über das geschossene Tor beim Fußball. Ein nettes Gespräch, in dem wir uns verstanden fühlen. Die Begeisterung, mit der wir neue Pläne schmieden. Wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen, spüren wir Lust auf Leben. Wie ist es aber bei (jungen) Menschen, die bereits schwierige Zeiten durchleben und Verluste verkraften mussten? 

Auch sie empfinden Lebenslust. Man nennt das: Resilienz. Die Fähigkeit, trotz widriger Umstände widerstandskräftig zu bleiben. Weiterhin die schönen Dinge zu sehen, mögen sie auch noch so klein sein. Das können wir in unseren Einrichtungen täglich beobachten: Kinder, die getrennt von ihren leiblichen Eltern in einer Kinderdorffamilie aufwachsen, die zum Teil Gewalt erfahren haben, die vernachlässigt wurden, deren Leben alles andere als einfach war und ist, spielen und lachen ebenso gern wie Gleichaltrige, die von ähnlichen Erfahrungen verschont geblieben sind.

Die Geschwister Emma und Jonas* sind seit Jahren in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen „unterwegs“: Nach einem nächtlichen Polizeieinsatz in der elterlichen Wohnung waren sie erst im Kindernotdienst, dann in einer Wohngruppe – seit vier Jahren leben sie nun im Kinderdorfhaus. Ihre Mama haben sie monatelang nicht gesehen. Und trotzdem laufen die Geschwister jubelnd über den Hof, dem Hund hinterher, auf das Trampolin und ab in den Sandkasten. Bemerkenswert, welche Lebenslust sie wiedergefunden haben, als ihnen ein sicherer Ort, ein Zuhause gegeben wurde.

Lust auf Leben bedeutet, dem Leben mit Hoffnung entgegenzublicken. Sich auf Abenteuer einzulassen. Eine Perspektive zu sehen. Vertrauen in sich selbst zu haben, neugierig zu bleiben und mutig zu sein. Manche unserer Kinder brauchen dafür einen kleinen Anstupser von außen. Manche vielleicht auch einen etwas Größeren. Das Schöne ist: Resilienz lässt sich üben. Indem wir unseren Blick immer wieder bewusst auf die schönen Seiten des Lebens lenken. Über was habe ich mich heute gefreut? Was lief unerwartet gut? Dabei zählen vor allem die kleinen Dinge, denn sie sind greifbar. So ändert sich unsere Wahrnehmung.

Lust auf Leben entsteht durch Achtsamkeit. Das ist etwas, was wir unseren Kindern mit auf den Weg geben. Wir zeigen ihnen, wie sie ihren Blick verändern können. „Ich kann das nicht“ – das hören wir oft von Emma und Jonas, denn sie haben durch ihren bisherigen Lebensweg ein sehr negatives Selbstbild. Manchmal ist ihr Blick auf die Welt grau bis dunkelschwarz und es kostet viel Geduld, die Geschwister zu motivieren, sich auf Neues einzulassen.

Doch: Den Blick zu trainieren, funktioniert tatsächlich. Wenn Emma beim Zubettgehen einfordert, dass aber bitte das kleine Licht an und die Tür ein Stückchen offen bleibt, schämt sich die Sechsjährige, weil sie ja eigentlich schon ein Schulkind ist. Dann sagen wir ihr, dass sie noch vor einem halben Jahr mehrfach in der Nacht aus dem Zimmer gelaufen kam und wie stolz wir heute auf sie sind, dass sie so prima durchschläft. Dann strahlt Emma und schläft doppelt so gut und glücklich ein.

Wir alle können einen Teil zur Lebenslust unserer Mitmenschen beitragen. Schenken wir anderen ein Lächeln – es wird etwas verändern. In diesem Sinne wünsche ich uns allen große Lust aufs Leben. Besonders unseren Kindern, die vielleicht eine größere Resilienzfähigkeit brauchen. Und noch ein wenig mehr Achtsamkeitstraining.

Inka Peters, Familienwerk Mecklenburg-Vorpommern

* Namen zum Schutz der Kinder geändert