Zwischen Chaos und Selbstständigkeit lagen bei Sabrina vier Jahre. Mit 14 kam sie ins Albert-Schweitzer-Kinderhaus Kerb nach Pinswang, mit 15 zog sie in das neue Kinderhaus Rosenhof daneben, mit 18 musste sie ihren eigenen Weg gehen.  Aber Sabrina (Name geändert) hat es gepackt. Sie kommt voran im Leben und im Beruf.

Die junge Frau teilt sich mit ihrem Freund eine kleine Wohnung und ihr Chef hält große Stücke auf seine junge Mitarbeiterin, die als Azubi im Verkauf gut voran kommt. 2019 will sie ihren Abschluss in der Tasche haben.

Solche Karrieren sind keine Seltenheit bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die in Albert-Schweitzer-Kinderdorfhäusern aufgewachsen sind. Die meisten schaffen den Schulabschluss, machen eine Ausbildung und stehen im Berufsleben. Manche sind inzwischen selbst Eltern und versuchen ihren Kindern das zu geben, was sie im Kinderdorfhaus bekommen haben: Zuwendung und Schutz, Geborgenheit und Aufmerksamkeit, aber auch Ordnungs- und Gemeinschaftssinn.

Ein Glücksfall

Für Sabrina waren die Kinderdorfhäuser in Pinswang bei Neubeuern ein Glücksfall. „Kinder wie Sabrina, die aus schwierigen Verhältnissen zu uns kommen, haben wenig Zeit und schlechtere Bedingungen. Sie müssen in viel weniger Zeit viel mehr auf die Reihe kriegen“, sagen Maren Halle-Krahl und Karin Kendlinger, die mit 16 Kindern im Kerbhaus und im Rosenhof wohnen. Für die beiden „Profi-Mütter“ ist es jeden Tag eine große Herausforderung, die ihnen anvertrauten Kinder noch sorgfältiger selbstständiger zu machen als die eigenen.

Bei der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ geht es unter anderem darum, zusätzliche Kinderdorfplätze und mehr Freiraum für die Jugendlichen in Pinswang zu schaffen. Ein Zuhaus und ein Anbau sollen ihnen zu etwas mehr Privatsphäre und altersgerechtem Wohnen verhelfen. Welcher 17-Jährige will schon pausenlos von Kleinkindern „umzingelt“ sein?

Aber ist das nicht zu viel Luxus? Rechnet es sich, Spendengelder in so einen Anbau zu stecken? „Ja, natürlich – und viel mehr als das“, sagt Maren Halle-Krahl, die Leiterin der beiden Häuser. Denn viele Buben und Mädchen in den über 100 Albert-Schweitzer-Kinderdorffamilien kommen aus einer Dynastie des Scheiterns: Die Mehrzahl ihrer Eltern sind nicht erwerbstätig.

Solidarität mit Schneeballprinzip

„Wenn wir es schaffen“, so Halle-Krahl, „diese Kinder ins Tun zu bringen, dann sorgen wir mit unseren Kinderdorfhäusern für eine solidargemeinschaftliche Revolution im positiven Sinn.“ Falls dann später die eigenen Kinder mit mehr liebevoller Sorgfalt groß gezogen und dadurch erfolgreicher werden, setzt sich das wie ein Schneeballprinzip fort: „Wir begleiten in vielen Jahren schließlich viele zukünftige Steuerzahler, die dadurch wieder den nächsten Kindern helfen.“

So kann man die Nachhaltigkeit solcher Bauprojekte und deren Wert für die Gesellschaft gar nicht in Zahlen messen. Sabrina zeigt das. Aus der Göre von 2014, an der sich Lehrer und Erzieher serienweise die Zähne ausbissen, ist eine sympathische, ambitionierte und geschickte Frau geworden. 2019 will sie ihren Abschluss machen – für Sabrina hoffentlich die Eintrittskarte in ein selbstbestimmtes, glückliches Leben.

An Kinder denkt sie noch nicht. Welche Frau tut das schon mit 18? Aber irgendwann ist es vielleicht so weit. Und wenn es so weit ist, wird Sabrina sicher eine gute Mutter sein und alles daran setzen, dass sich ihre Kinder beschützt und geborgen fühlen, gefördert und gefordert werden. Vielleicht schaut sie dann mit ihren Kleinen ab und zu am Rosenhof vorbei. Nicht nur die Pferde werden sich über ihren Besuch freuen.

Quelle: Oberbayrisches Volksblatt, 1. Dezember 2018, Bild: Symbolbild, Pixabay