In Melanies Grochalskys Familie haben alle ihre Rechte. Die Großen wie die Kleinen. Wichtig sei für ein harmonisches Familienleben, dass sich alle an Grundregeln halten, aber die Eltern unbedingt den Rahmen vorgeben.

Als Kinderdorfmutter denke ich oft, ich nehme die Kinder erstmal grundsätzlich an, wie sie sind. Mit ihren Auffälligkeiten, mit ihren Geschichten, mit ihren liebenswerten Seiten, mit allem was sie ausmacht und was sie mitbringen. Ich denke, das ist eine gute Herangehensweise, denn jedes Kind möchte sich akzeptiert fühlen. Und weil ich am besten weiß, wie mein Kind tickt, erkläre ich es auch anderen, wenn es mal einen schlechten Tag hat. Wenn man erklären kann, warum ein Kind reagiert, wie es reagiert, dann haben Nachbarn oder Freunde auch Verständnis dafür. Ich sage also, das Kind ist gerade in der Trotzphase oder es war gerade alles etwas viel, um Verständnis für das Verhalten zu schaffen. Denn die Kinder selber können es oft noch nicht erklären.

Kinder haben das Recht, nicht gut drauf zu sein

Ich kenne das ja selber auch, wenn mir der Kopf weh tut, bin ich auch anders, als wenn er mir nicht weh tut. Nur, ich kann das im Gegensatz zu den Kindern sagen und andere können es dann besser einordnen. Und ich finde, dieses Recht haben Kinder auch. Aus der Schule kommen und erstmal nicht gut drauf sein, weil der Tag nicht so gut gelaufen ist, es die Aufgaben vergessen hatte, der Lehrer sie angemotzt hat oder die Freundin nicht mit ihnen gesprochen hat. Dann ist es ja auch klar, dass das Kind erstmal neben sich steht. Dann kann ich darauf eingehen. Und trotzdem gibt es natürlich Rahmenbedingungen und Grundregeln. Die Kinder wissen, dass ich Verständnis habe, aber sie wissen auch, wenn Essenszeit ist, müssen sie sitzen bleiben, auch wenn es ein doofer Tag war.

Eltern dürfen Kindern Grenzen setzen – Kinder aber auch

Ich glaube, dass es total wichtig ist, dass Kinder Halt von ihren Eltern bekommen und trotzdem wählen dürfen, was sie zum Beispiel mit ihrer Freizeit machen. Muss ich, weil ich ein Mädchen bin, ins Ballett, oder kann ich auch Fußballspielen. Ich finde, da kann man die Kinder entscheiden lassen.
Im Privaten kennen die Kinder es von ihren Eltern, dass sie sagen, jetzt passt es gerade nicht, jetzt möchte ich gerade in Ruhe mit Papa sprechen. Und genauso darf mir auch ein Kind sagen, ich möchte gerade noch zu Ende spielen. Ich finde es wichtig, dass auch die Kinder Privatsphäre haben und ich sie als Menschen ernst nehme.

Eltern sind die Schiedsrichter – aber Kinder dürfen mitreden

Die Freiräume, die ich den Kindern gebe, mache ich nicht in erster Linie am Alter fest, sondern vor allem am Entwicklungsstand des Kindes. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass wir als Eltern oder Erzieher den Rahmen vorgeben, so wie der Schiedsrichter beim Fußball das Sagen hat. Der Rahmen wird vorgegeben und wir können trotzdem darüber diskutieren. Ab 16 Jahren kann man den Kindern dann schon mehr Entscheidungsspielräume überlassen, also zum Beispiel, ich mache nicht jetzt meine Hausaufgaben sondern heute Abend. Dann ist der vorgegebene Rahmen, es werden Hausaufgaben gemacht, die Kinder und Jugendlichen können aber frei entscheiden, wann. Einem Grundschüler würde ich diese Freiheit nicht lassen, der muss erstmal die Routine bekommen, das täglich Hausaufgaben gemacht werden.

Mit „Gummiseil-Pädagogik“ zur Selbstständigkeit

Diese Diskussionen können kräftezehrend sein. Mein Tipp ist, als Mama oder Papa zu schauen, wo kann ich Freiräume lassen und wo nicht. Das beginnt schon als Kleinkind. Auch da habe ich schon die Entscheidung, gehe ich abends beim ersten „Mäh“ ins Zimmer oder warte ich erstmal noch kurz ab. Ich finde es wichtig, dass die Kinder früh lernen, ich habe Verantwortung für mich. Und ich glaube, das kann man antrainieren. Und das ist ein Erziehungsstil. Ich fahre damit super, dass ich meinen Kindern bestimmte Freiräume lasse. Ich nenne das Gummiseil-Pädagogik. Wenn ich merke, hier klappt‘s noch nicht, dann wird der Rahmen enger gesteckt.

An die Hand nehmen und in Geduld üben

Was mache ich, wenn Kinder sich nicht selber regulieren können? Sie ganz lange an die Hand nehmen, sich in Geduld üben und drauf hoffen, dass auch diese Kinder für sich Selbstvertrauen aufbauen. Dabei unterstütze ich sie, indem ich sie viel lobe, auch in Kleinigkeiten. Mit meiner 12-jährigen hab ich zum Beispiel den Schulweg geübt, wir sind ihn gemeinsam abgefahren, so dass sie es jetzt alleine kann. Als nächstes hatte sie die Idee, zu einer Nachmittags-AG zu gehen, wusste aber nicht, wie sie dann nach Hause kommen soll. Sie kam dann selber drauf, mal zu schauen, wie der Bus fährt. Wenn man Kinder begleitet, unterstützt, an die Hand nimmt, werden sie immer selbstständiger.

Der wichtigste Rat ist für mich wie gesagt, sein Kind anzunehmen wie es ist und damit den Alltag zu gestalten. Im Kopf zu haben, ich möchte es zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickeln. Das geht am besten, indem ich es vorlebe, indem ich auch mal loslasse und ausprobieren lasse, auch wenn es auf die Nase fällt. Und dann bin ich unterstützend da. Das ist für mich der Schlüssel zum Glück.

Melanie Grochalsky, Kinderdorfmutter, Albert-Schweitzer-Kinderdorf Waldenburg

(Bild: freestock-photos, Pixabay)