
Wie fühlt es sich für Kinder an, im Kinderdorf zu leben? Was bewegt sie? Wie sieht ihr Alltag aus? Ricarda aus dem Waldenburger Kinderdorf gestattet – stellvertretend für viele der Kinder, die bei uns aufwachsen – einen kleinen Einblick in ihr Leben.
Liebe Ricarda, Du kamst als Kleinkind mit drei Jahren in das Waldenburger Kinderdorf. Wie alt bist Du heute?
Ich bin elf Jahre alt und lebe seit acht Jahren zusammen mit meinem Bruder Rene* und noch vier weiteren Kindern hier in der Kinderdorffamilie Pachmann. Mein Bruder ist 14 Jahre alt.
Erinnerst Du Dich noch an deinen ersten Tag im Kinderdorf?
Ja, aber nur ein kleines bisschen. Ich weiß, dass ich am Anfang ganz arg schüchtern war, weil ich noch niemanden kannte. Und ich erinnere mich, wie ich mich oft irgendwo im Haus versteckt habe und nicht zum Essen kommen wollte. Heute bin ich überhaupt nicht mehr schüchtern. Manchmal habe ich aber plötzlich Angst vor Fremden, die ich nicht gut kenne. Das kommt daher, dass mein Vater gewalttätig war. Ich habe nur noch Kontakt zu Oma und Opa. In den Ferien fahre ich öfters zu ihnen.
Du hast einen besonderen Namen, gibt es eine Geschichte dazu?
Fast hätte ich Deborah oder Denise heißen sollen. Aber dann hat mich meine Mutter nach ihrer Kosmetik benannt (lacht). Eigentlich heiße ich Ricarda-Marie, aber das ist mir zu lang, deshalb nennen mich alle nur Ricarda. Ich mag meinen Namen sehr gerne.
Wie fühlt es sich an, im Kinderdorf zu leben? Was magst Du hier?
Ich wohne sehr gerne in meiner Kinderdorffamilie. Ich mag es, dass ich mitbestimmen und mitreden darf, vor allem in Familienangelegenheiten. Außerdem finde ich schön, dass ich so viele Freunde hier gefunden habe und nie alleine bin. Und ich mag die Natur und dass ich hier so viel draußen sein kann.
Mir gefällt auch mein eigenes Zimmer. Manchmal – wenn ich sauer, wütend oder traurig bin – kann ich mich dahin zurückziehen. Wenn andere Kinder reinkommen wollen, müssen sie anklopfen.
Vor kurzem durfte ich mein Zimmer komplett neugestalten. Es sieht jetzt nicht mehr so kindlich aus. Ich habe auch ein neues, breiteres Bett bekommen und eine schöne Lichterkette. Außerdem habe ich einen neuen Schreibtisch, Regal, Nachttisch und Lampe. Als nächstes möchte ich zusammen mit Papa, meinem Kinderdorfvater, eine Wand hellgrau streichen.
Was magst Du hier nicht so gerne?
Zurzeit habe ich oft Streit mit meinem Bruder, das gefällt mir gar nicht.
Wie läuft Dein Alltag ab?
Um 6 Uhr morgens stehe ich auf und fahre dann mit dem Bus zur Schule. Ich gehe in die 5. Klasse der Albert-Schweitzer-Schule in Öhringen. Auch dort habe ich Freunde, die mich manchmal hier zuhause besuchen kommen. Nach dem Mittagessen und den Hausaufgaben bin ich am Nachmittag viel draußen. Ich treffe mich mit meinen Freunden auf dem Sportplatz im Kinderdorf. Dort spiele ich gerne Fußball und werde auch beim Kido-Cup mitmachen.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Ich will vielleicht selbst Hausmutter werden oder irgendetwas anderes im Kinderdorf arbeiten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben (lacht). Jetzt reicht es aber mit den Fragen, ich brauche eine Pause (lacht wieder).
Danke Ricarda, für Deine Offenheit und diesen tollen Einblick in Dein Leben!
Susanne Wirth, Kinderdorf Waldenburg
*Name zum Schutz des Kindes geändert
Die Interview mit Ricarda ist auch in unserem Kinderlandheft 03/2023 erschienen.