
Inka Peters
Inka Peters, Geschäftsführerin im Albert-Schweitzer-Familienwerk Mecklenburg-Vorpommern e. V., berichtet im Interview, wie wichtig Vertrauenspersonen für den Schutz kleinerer Kinder in den Einrichtungen sind und wie es gelingt, dass sie von den Kindern angenommen werden.
Frau Peters, wie kam es dazu, dass Sie besondere Maßnahmen zum Schutz jüngerer Kinder getroffen haben?
Vor einigen Jahren haben wir sehr viele kleinere Kinder hier aufgenommen. Mehr oder weniger auf einen Schlag hatten wir 20 Kinder unter acht Jahren in unseren Einrichtungen. Als Träger der Jugendhilfe müssen wir Maßnahmen vorhalten, um Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Damals haben wir uns gefragt, welche Möglichkeiten der Beschwerde und Teilhabe haben die Kleinen? Größere Kinder können den Kummerkasten, der wöchentlich geleert wird, nutzen oder haben vielleicht sogar den Mut, jemand anzusprechen. Aber was machen die Kleinen? Im Alltag sind sie in den Einrichtungen, aber sie brauchen weitere Erwachsene, die sie kennen und ansprechen können.
Was haben Sie dann getan?
Wir haben uns damals entschieden, eine Vertrauensperson einzusetzen, einen Mann und einen Frau, so dass man jedes Geschlecht anspricht. Für uns war klar, dass wir die Kinder in Kontakt zu ihnen bringen müssen, nur dann können sie Vertrauen fassen und öffnen sich. Kleine und jüngere Kinder brauchen was echtes Anfassbares; Menschen, die sie kennen und mit denen sie etwas Schönes erlebt haben.
Wie gelingt es, dass die Kinder Vertrauen zu diesen Personen fassen?
Indem sie sich kennenlernen. Die Vertrauenspersonen versuchen, im Alltag in schwierigen Situationen für die Kinder da zu sein. Zum Beispiel schreiben sie den Kindern zu wichtigen Anlässen – Weihnachten, Ostern oder wenn es Zeugnisse gibt – Briefe. Vielen Kindern, gerade denen, die von zuhause nicht so regelmäßig Post bekommen, bedeutet das sehr viel.
Was für eine tolle Idee. Gibt es auch Aktivitäten, in denen Kinder und Vertrauenspersonen sich kennenlernen und Zeit miteinander verbringen können?
Ja natürlich. Die Vertrauenspersonen fahren zum Beispiel mit ins Ferienlager, dort ergibt es sich ganz automatisch, dass man sich kennenlernt. Die Kinder trauen sich dann eher, sich mitzuteilen wenn ihnen das Herz schwer ist. Uns geht es dabei einfach um ein Backup, eine Sicherheit. Das ist keine Konkurrenz zur Kinderdorffamilie oder den Erziehern, sondern ein weiterer Erwachsener, der wenn es nötig ist, Hilfe geben würde.
Wie wurde das angenommen?
Das Ferienlager ist ein Ort, an dem Kinder mit gleichem Schicksal sich begegnen können im Spiel, bei gemeinsamen Unternehmungen und ohne den gewohnten Alltag mit Kindergarten und Schule. In unbeschwerten Situationen, oft im Rollenspiel und bei Zubettgeh- Situationen offenbaren sie Probleme, Ängste und Sorgen, die sie umtreiben. Auch wenn man übergriffiges Verhalten von Kindern an anderen Kindern wahrnimmt, ist das oft ein Hinweis. Wenn man dann 14 Tage mit solchen Kindern Zeit verbringt, bekommt man einen ganz guten Überblick. An diesen Stellen müssen Vertrauenspersonen sensibel sein, die Sorgen und Nöte ernst nehmen und Hilfestellungen entwickeln.
Das heißt, sie vertrauen ihnen auch ernstere Probleme an?
Ja, die Vertrauenspersonen erfahren auch von ernsteren Problemen als Heimweh und Schulproblemen. Wenn Kinder über Gewalterfahrungen berichten, Straftaten, deren Zeugen sie wurden, gibt es die Verpflichtung, auch die Polizei, das Jugendamt und unter besonderen Umständen das Landesjugendamt einzuschalten. Kinderschutz ist eine Aufgabe für Profis, welche unsere Vertrauenspersonen sein müssen.
Was tun Sie noch?
Wir haben die sogenannte „soziale Gruppenarbeit“ eingeführt. Uns ist wichtig, dass die Kinder drei bis viermal im Jahr zusammenkommen, Spaziergänge mit dem Förster durch den Wald oder eine Schatzsuche machen, und so auch die anderen Kinder besser kennenlernen. Ich finde es ganz wichtig, dass die Kinder sich in ihrem Schicksal auch begreifen. Wenn ich sehe, dass es auch viele andere Kinder gibt, die nicht bei ihrer Familie aufwachsen, ist das sehr tröstend. Die Kinder ermutigen und unterstützen sich und merken, wir sind nicht allein auf dieser Welt.
Außerdem haben wir einen anonymen Fragebogen an alle Kinder ab der 2. Klasse verteilt, weil wir wissen wollten, wie sie sich fühlen und wie es ihnen in unseren Einrichtungen geht. Dabei sind sehr lebensnahe Fragen: Was dürfen sie mitentscheiden, wie zufrieden sind sie, was wünschen sie sich, dürfen sie selber über ihr Outfit bestimmen oder ihr Zimmer gestalten.
Was ist dabei rausgekommen?
Insgesamt zeigen die Fragebögen, dass die Kinder zufrieden sind. Nur beim Thema Mediennutzung gab es ein paar Ausschläge, die Kinder haben sich natürlich gewünscht, dass sie mehr Handy-Zeiten haben und ins WLAN dürfen. Da wollen wir nur altersangemessenen Kontakt, aber wer es für die Ausbildung braucht oder sich angemessen damit auseinander setzen kann, sollte das natürlich auch dürfen. Trotzdem sage ich immer „WLAN ist kein Kinderrecht“ (lacht). Ich denke, das ist ein Thema unserer Zeit, da macht das Kinderdorf keinen großen Unterschied zur normalen Familie.
Das Interview führte Hanna Irabi, Öffentlichkeitsarbeit, Bundesverband Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und Familienwerke