Zwei Jahre Pandemie zerren an unseren Nerven. Viele Entbehrungen liegen hinter uns. Selten war der Grat zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit so schmal wie in dieser Zeit. Doch die Pandemie hat auch etwas Gutes mit sich gebracht: Sie löste eine Welle der Hilfsbereitschaft aus, stärkte den Gedanken der Gemeinschaft und zeigte einmal mehr, dass unsere Mitarbeitenden ihren Beruf als Berufung leben.

Das Kinderdorf Sachsen im April 2021: Manuel ist am Morgen mit Halsschmerzen aufgewacht. Auch sonst fühlt er sich schlapp und seine Stirn ist viel wärmer als sonst. Bei der Hausmutter des Neunjährigen klingeln sofort die Alarmglocken. Sie machen einen Corona-Schnelltest. Nach wenigen Minuten erscheint die zweite Linie – der Test ist positiv. Im Laufe der nächsten Tage erkranken drei weitere Kinderdorfkinder in der Familie. Die Hauseltern bleiben verschont, sie sind Dank der Priorisierung der Sächsischen Impfverordnung schon geschützt.

„Zum Glück ging es meinem Mann und mir so gut“, sagt die Hausmutter rückblickend. Denn der 15-jährige Mats hat einen eher schweren Verlauf, kann nicht mehr selbst aufstehen und muss aufwendig gepflegt und gefüttert werden. „Wir standen in engem Kontakt zu unserem Kinderarzt, haben manchmal täglich miteinander telefoniert. Mehrmals stand die Option im Raum, Mats ins Krankenhaus einzuliefern. Aber wir sind Gott sei Dank drum herumgekommen.“ Für Mats wäre eine Krankenhauseinweisung, ohne die Möglichkeit auf Besuchskontakte, eine weitere Kerbe in seiner langen Liste der seelischen Traumata gewesen.

Sechs Wochen Quarantäne

Insgesamt dauerte die Quarantäne der Kinderdorffamilie sechs Wochen. Die beiden Erzieher, die sonst unterstützend in der Familie arbeiten, dürfen in der Zeit das Haus nicht betreten. Gleiches gilt für die Hauswirtschaftskraft. Doch sie stehen in telefonischem Kontakt, kaufen für die Familie ein und stellen alles vor die Tür. Mit den Kindern, die sich gesund und fit genug fühlen, machen sie ab und an Videokonferenzen oder telefonieren, um ihnen die mitunter langweilige Zeit der Quarantäne zu vertreiben.

Uns erreichen in dieser Zeit viele Sachspenden für die Kinder: Gesellschaftsspiele, Inlineskates, eine große Torwand zum Fußballspielen – die Kinder nehmen es dankbar an.

Wenn man die Hausmutter im Nachhinein fragt, ob sie die lange Zeit der Quarantäne anstrengend fand, verneint sie. „Schlimm waren nur die Sorgen um Mats. Ansonsten haben wir versucht, das Beste aus der ‚Zwangspause‘ zu machen und manchmal auch die Ruhe genossen: Unsere Kinder haben einen relativ hohen Therapiebedarf mit Logopädie, Ergo- und Physiotherapie. Natürlich sind all diese Anwendungen wichtig, aber es war für uns alle mal eine schöne Erfahrung, keinen Termindruck zu haben. Wir haben sehr viel gebastelt, im Garten gearbeitet und gespielt.“

Die vierte Welle

Sieben Monate später – es ist November 2021, die vierte Welle wütet in Deutschland. In Sachsen ist es besonders schlimm. Es stellt sich kaum noch die Frage, ob wir auch im Kinderdorf bald Infizierte haben werden, sondern wann es so weit sein wird. Tatsächlich schlägt das Virus bei uns ein wie eine Bombe. Im November und Dezember sind mehr als 75 Prozent der Belegschaft im Krankenstand, wir laufen im absoluten Krisenmodus. Das größte Problem: Unsere drei Wohngruppen. Wo in unseren Kinderdorffamilien sogenannte „Innewohnende“ angestellt sind und rund um die Uhr bei den Kindern wohnen, betreiben wir die Wohngruppen im Schichtdienst. Wer also geht mit den Kindern für 14 Tage oder mehr in Isolation, wenn es Coronafälle gibt? Die Antwort ist schnell gefunden: Sofort erklären sich die Hausleitungen dazu bereit, in die Wohngruppen einzuziehen, wenn es die Situation erforderlich machen sollte. Und auch ein Plan-B, eine Zweitbesetzung, sollten die Hausleitungen krank werden, ist schnell erstellt.

„Diese Zeit hat uns allen unglaublich viel abverlangt“, sagt Daniela Hamann, die Bereichsleiterin des Kinderdorfes Steinbach. „Aber es war trotz aller Anstrengungen wirklich schön zu sehen, wie bereitwillig die Erzieher*innen die vielen Dienste und Überstunden auf sich genommen haben, um rund um die Uhr für unsere Kinderdorfkinder da zu sein. Trotz des hohen Krankenstands waren unsere Kinder immer gut versorgt. Daran sieht man wieder einmal mehr, dass die Arbeit im Kinderdorf mehr als nur ein Beruf ist – sie ist eine Berufung.“

Seelische Hornhaut ist gewachsen

Mit dem Jahreswechsel endete auch die Quarantäne unserer Kinderdorffamilien und Wohngruppen. „Es ist bewundernswert, mit welcher Kraft und Ausdauer das gesamte Team des Albert-Schweitzer-Kinderdorfes Sachsen diese herausfordernden Wochen und Monate gemeistert hat“, sagt Gregor Bärsch, der seit 1. Januar Geschäftsführer des Vereins ist. „Viele Menschen gehen aus Krisen gestärkt hervor. Ich würde sagen, dass das auch auf unser Kinderdorf zutrifft. Die seelische Hornhaut ist auf jeden Fall bei allen ein bisschen dicker geworden. Unsere Mitarbeitenden begleiten die Kinder durch diese schweren Zeiten und stecken dafür regelmäßig zurück. Das ist nicht selbstverständlich. Mein Dank geht daher an alle Angestellten des Albert-Schweitzer-Kinderdorfes in Sachsen für ihren unermüdlichen Einsatz!“

Marial Grahl, Kinderdorf Sachsen

Dieser Artikel erschien in der Print-Ausgabe „anspiel. Das Magazin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Sachsen„, Ausgabe 11, März 2022