„Melinda hat schon wieder getobt und mir in den Bauch getreten. Aber das gehört halt dazu in unserem Beruf. Damit muss man einfach irgendwie klarkommen.“ Solche oder ähnliche Sätze hört man häufig von Mitarbeitenden im sozialen Bereich.

Übergriffe sind besonders belastend im Erziehungsalltag. Doch im Waldenburger Kinderdorf werden die Mitarbeitenden in solch schwerwiegenden Fällen nicht allein gelassen: Seit 2017 gibt es dort das sogenannte Nachsorgeteam zur Erstbetreuung aus speziell geschulten Kolleg*innen. Das Team wird verständigt, wenn es bei der Arbeit zu einem Übergriff kommt. Innerhalb von 48 Stunden findet dann ein Erstgespräch mit dem Betroffenen statt.

Bei den Nachsorgegesprächen steht nur die beteiligte Person als Mensch im Mittelpunkt. Deren physische und psychische Verfassung, ihre Ängste und Sorgen sowie ihr ganz individuelles Empfinden des Übergriffes sind Thema.

Mit gezielten Fragen nach dem inneren Befinden, nach unruhigem Schlaf oder nach Veränderungen im Alltag versuchen wir Nachsorger*innen herauszufinden, wie sehr die Person durch den Übergriff belastet ist. Viele suchen den Grund für den Übergriff bei sich selbst.

Am Ende des Gesprächs sagten bisher alle, dass es für sie gut war, darüber zu reden, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Sie fühlen sich ernst genommen. Zu wissen, dass jemand nach ihnen schaut und auch nach drei Monaten noch einmal persönlich nachfragt, schafft ein Gefühl der Sicherheit. Dies ist enorm wichtig, denn Übergriffe sind Grenzverletzungen, bei denen ein Stück Sicherheit verloren geht.

Übergriffe kommen zwar vor, doch sie sollten nie als normaler Teil der Arbeit empfunden und schon gar nicht „einfach irgendwie durchgestanden“ werden müssen. Hierfür sorgen wir vom Nachsorgeteam.

Martin Jakob, Nachsorgeteam im Kinderdorf Waldenburg