Dass Kinder in die beruflichen Fußstapfen der Eltern treten, gibt es auch in der Kinderdorffamilie: Gleich drei (ehemalige) Kinderdorfkinder aus dem Familienwerk Mecklenburg-Vorpommern absolvieren gerade eine Erzieher*innen-Ausbildung: Paul, Michelle und Pieer. Zum Teil hat sie ihre eigene Geschichte bei ihrer Berufswahl motiviert. Vielleicht werden sie später selbst einmal im Kinderdorf arbeiten. Sind selbst „Betroffene“ gute, vielleicht sogar die besseren Helfer*innen? Darüber haben wir mit Inka Peters gesprochen.

Inka Peters, Geschäftsführerin Albert-Schweitzer-Familienwerk Mecklenburg-Vorpommern e.V. und 2. stell. Vorsitzende des Bundesverbandes

Inka Peters, Geschäftsführerin Albert-Schweitzer-Familienwerk Mecklenburg-Vorpommern e.V. und 2. stell. Vorsitzende des Bundesverbandes

„Wer selbst eine ähnliche Erfahrung gemacht hat, kann natürlich viel authentischer sagen: ‚Ich weiß, wovon du sprichst‘“, sagt die Geschäftsführerin des Familienwerks Mecklenburg-Vorpommern. „Von Selbsthilfegruppen zum Thema Sucht zum Beispiel kennt man das – und hat es auch schon wissenschaftlich untersucht. Das nennt man Betroffenenkompetenz.“

Welche Erfahrung aber hat die Diplom-Sozialpädagogin, Trauma-Fachberaterin und systemische Familientherapeutin im pädagogischen Bereich gemacht? „Bei Fachkräften, die selbst einen Jugendhilfe-Hintergrund haben, erlebe ich viel Empathie“, sagt Peters. „Die eigene Vergangenheit kann durchaus hilfreich sein, um die Lebenswelt von Kindern im Kinderdorfhaus besser zu verstehen. Aber: Diese Ehemaligen haben zugleich die Pflicht, gut aufgeräumt an die Arbeit heranzugehen. Sie dürfen ihre eigene Geschichte nicht mit der eines Kindes vermischen. Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Geschichte“, betont die Expertin.

Als ehemaliges Kinderdorfkind eine pädagogische Laufbahn einzuschlagen, erfordere ein hohes Maß an Selbstreflexion und Aussöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte. Inka Peters: „Die Arbeit darf kein Eigentherapeutikum sein. Pädagog*innen sollen schließlich als Helfer*innen zur Verfügung stehen. Und müssen sich auf Fachlichkeit stützen – nicht auf eigene Erinnerungen.“ Das hat Peters, als sie Therapeutin wurde, auch selbst als erstes gelernt: Die eigenen Baustellen zu kennen, ist wichtig.

Sie weiß aus Erfahrung, der als Therapeutin und der als Chefin, dass es machbar ist, bei aller Empathie die nötige Distanz zu halten. „Ich hatte mal einen Mitarbeiter, den ausdrücklich seine eigene Biografie angetrieben hat, in die stationäre Jugendhilfe zu gehen. Um es besser zu machen als die eigenen Eltern. Er hatte eine gute Ausbildung genossen und hat es stets geschafft, zwischen den eigenen Erfahrungen und dem, was das Kind erlebt hat, zu unterscheiden. Beratung und Supervision haben dazu beigetragen. Es liegt auch immer ein bisschen an der Persönlichkeit, wie gut jemand das hinbekommt“, so Peters.
Die Geschäftsführerin des Familienwerks hat auch noch ein Beispiel einer Ehemaligen parat, die zwar nicht Pädagogin wurde, aber doch beruflich im Kinderdorf blieb: „Eine unserer Hauswirtschaftskräfte ist tatsächlich im gleichen Haus aufgewachsen, in dem sie heute arbeitet“, berichtet Peters. Was sie an ihr besonders beobachtet hat: „Sie geht sehr natürlich mit den Kindern um, ist nicht – wie manche Menschen, die zuvor kaum oder wenig Berührung mit Kinder- und Jugendhilfe hatten – geschockt von ihrer Biografie. Da gibt es keinen Mitleidsbonus. Das ist gut. Und hilft auch den Kindern. Ein großes Herz für die Kinder hat die Kollegin trotzdem.“

Paul, Michelle und Pieer lernen nicht in einer der Einrichtungen des Familienwerks, die wohl aber Praxisstellen für andere angehende Erzieher*innen sind. „Bei Paul hatte sich die Frage gestellt, ob er ein Praktikum bei uns macht. Aber das geht nicht. Er wohnt ja auch noch hier. Da vermischen sich die Rollen zu sehr“, findet Inka Peters.

Michelle dagegen hat ein Praktikum im Kinderdorfhaus gemacht, wenn auch nicht in dem, in dem sie groß geworden ist. „Das war eine Notlösung mitten in der Pandemie, weil kein anderer Platz zu finden war“, erklärt die Geschäftsführerin. „Zwar hatte Michelle vorher keine gelebte Beziehung zu den Kindern in diesem Haus – gut fand ich es trotzdem nicht. Kinder müssen einfach über den Tellerrand hinaus ihre Erfahrungen machen, um sich zu entwickeln. Das ist ähnlich wie in einem Familienbetrieb. Die Kinderdorfkinder brauchen Außenkontakte, um in der Welt außerhalb der Kinderdorffamilie bestehen zu können.“

Beitrag: Sabrina Banze, Bundesverband