Mitten im ersten Corona-Lockdown zog Melina* in ein Albert-Schweitzer-Kinderdorf ein. Ihre Mutter und sie hatten ihre Wohnung verloren, sie schliefen mal hier, mal dort auf dem Sofa von Bekannten. Die Mutter kämpfte mit Suchtproblemen. Das Jugendamt griff schließlich ein.

Eigentlich sollte Melina zu ihrem Stiefvater ziehen. Dort lebt auch ihr älterer Bruder. Doch der Stiefvater war durch seinen Job viel unterwegs, konnte sich nicht so um seine kleine Tochter kümmern, wie das Mädchen es gebraucht hätte. So kam die damals Fünfjährige 2020 ins Albert-Schweitzer-Kinderdorf.

„Als Melina zu uns kam, fehlten ihre Schneidezähne“, erinnert sich Bettina Haufe*, Hausleitung in dem Kinderdorfhaus, in dem Melina lebt. „Viel mehr als Zucker, in flüssiger und fester Form, hatte sie nicht bekommen. Entsprechend wollte sie auch nichts anderes. Sie war regelrecht zuckersüchtig.“ Auch sprachlich musste sie einiges aufholen.

Die Kinderdorf-Pädagog*innen gingen mit Melina zum Kinderschutzdienst, um ihre Traumata aufzuarbeiten. „Einen Therapieplatz zu finden ist schwierig“, sagt Bettina Haufe. „Gerade für kleinere Kinder.“ Der Kinderschutzdienst sei eine gute Alternative, um schnell professionelle Hilfe zu bekommen.

„Inzwischen ist Melina ein gesundes, normal entwickeltes Kind“, berichtet Bettina Haufe. Etwas Zeit hat sie verloren: Mit neun Jahren geht sie in die zweite Klasse.

Mit ihrer Mutter telefoniert Melina jede Woche

Zu ihrer Mutter hat Melina regelmäßigen Kontakt. Die beiden telefonieren wöchentlich und sehen sich ein bis zwei Mal im Jahr. Die Treffen werden immer begleitet. Melina freut sich jedes Mal riesig darauf. Die Mutter bringt dann Geschenke und Süßigkeiten mit. „Darüber zeigt sie ihre Zuwendung“, weiß Bettina Haufe.

Einen festen Wohnsitz hat Melinas Mutter bis heute nicht. Dass ihre Tochter wieder bei ihr lebt, ist daher ausgeschlossen. Die Mutter-Tochter-Beziehung ist insgesamt nicht immer einfach. Die Mutter kämpft mit ihren eigenen Themen. Die Tochter war häufig überfordert mit der Situation.

Doch Melina ist mit der Zeit selbstbewusster geworden. „Sie hat bei uns gelernt, ihre Grenzen zu erkennen und zu signalisieren“, sagt Bettina Haufe. „Und auch, die Grenzen anderer zu sehen und zu akzeptieren.“ Ein großer Fortschritt für das Mädchen. „Grenzen und eigene Bedürfnisse – das war ein schwieriges Thema für Melina. Auch im Miteinander mit anderen Kindern.“

Die Neunjährige hat im Kinderdorf ein stabiles Zuhause gefunden

Im Kinderdorf ist das einst schüchterne Mädchen mit den blonden Haaren aufgeblüht. Nach der extremen Erfahrung der Wohnungslosigkeit, in der die Schlafplätze sich abwechselten, hat sie hier ein Zuhause gefunden. Mit einem eigenen Zimmer, einem strukturierten Alltag und Erwachsenen, die ihr Halt geben. Dinge, die für viele Kinder selbstverständlich sind.

Eine wichtige Bezugsperson ist nach wie vor ihr Stiefpapa – auch wenn er nicht Melinas leiblicher Vater ist. Er kümmert sich liebevoll um sie, holt sie einmal im Monat für ein Wochenende zu sich. Und er kommt immer ins Kinderdorf, wenn er eingeladen wird.

Melina wird geliebt. Sie hat Eltern, denen sie wichtig ist. Aufwachsen wird sie wohl dennoch im Kinderdorf – bis sie irgendwann auf eigenen Beinen stehen kann.

Sabrina Banze, Bundesverband
Symbolbild: Konstantin Börner

*Namen zum Schutz der Identität geändert