Viele der Kinder und Jugendlichen, die in den Albert-Schweitzer-Kinderdörfern und Familienwerken ein neues Zuhause finden, haben bereits massive Verletzungen ihrer Rechte erlebt. Vor diesem Hintergrund haben die Kinderrechte eine besondere Bedeutung für uns. Wir legen großen Wert darauf, die Kinder zu eigenständigen Persönlichkeiten zu erziehen, die ihre Rechte kennen, sie einfordern und aktiv mitgestaltenzum Beispiel im Kinder- und Jugendparlament.

Das Kinder- und Jugendparlament ist eine wichtige Institution im Kinderdorf Alt Garge in Niedersachsen. Hier können Kinder und Jugendlichen mitbestimmen. Jede Kinderdorffamilie wählt zwei Kinder, die sie im Kinder- und Jugendparlament vertritt. Eine Amtszeit dauert in der Regel zwei Jahre. Etwa alle sechs Wochen trifft sich das Parlament zur Sitzung.

Pädagogin Regina Keespe (kleines Foto) begleitet das Partizipationsprojekt. „Mitsprache ist wichtig für Kinder und Jugendliche“, sagt die ehemalige Lehrerin, die seit 1990 im pädagogischen Förderdienst des Kinderdorfes arbeitet. „In den Bereichen, in denen sie nun einmal selbst die Spezialisten sind, wollen sie mitgestalten und gefragt werden. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft. Im Kinderparlament können die Kinder Demokratie üben – und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen.“ Wenn beispielsweise aus Spenden neue Spielgeräte für den Spielplatz angeschafft werden, entscheiden die Kinder und Jugendlichen mit, was gekauft wird. „Sie haben ein gutes Auge dafür, was gebraucht wird“, attestiert Keespe.

Aktuell besteht das Kinder- und Jugendparlament in Alt Garge aus einer Handvoll Jungen und Mädchen im Alter von elf bis 17 Jahren. „Lesen und schreiben können sollten die Kinder, die gewählt werden, nach Möglichkeit schon“, sagt Regina Keespe. Die Älteren könnten sich meist gut in die Jüngeren hineinversetzen. „In einer Familie haben wir aktuell nur sehr kleine Kinder. Da müssen wir mal schauen, wie wir bei der nächsten Wahl damit umgehen. Die Kinder werden auch das mitentscheiden.“

Dass sie ein Recht auf ihre eigene Meinung haben, auf Hobbys, auf Privatsphäre, Bildung und eben auch Beteiligung, wissen die „Abgeordneten“ des Kinder- und Jugendparlaments schon sehr genau. Damit auch alle anderen Kinder im Kinderdorf Alt Garge künftig wissen, welche Rechte sie haben, hat das Parlament in den vergangenen Monaten ein eigenes Kinderrechte-Heft für das Kinderdorf erarbeitet. Nach dem Vorbild des Kinderdorfes in Uslar, wo es ein solches Heft schon länger gibt, und auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention, die insgesamt 54 Artikel umfasst und weltweit gültige Maßstäbe für eine kindgerechte Gesellschaft sowie die Aufgaben von Staat und Gesellschaft zur Durchsetzung dieser Rechte beschreibt.

Im Heft der Kinder aus Alt Garge geht es um ganz praktische Dinge, in denen sich die Kinderrechte niederschlagen: ein eigenes Kinderzimmer zum Beispiel. Und dass man sich auch mal kindisch benehmen darf, ohne von den anderen dafür ausgelacht zu werden. „Wir haben die Kinderrechte quasi auf das Kinderdorf heruntergebrochen“, sagt Regina Keespe. „Es geht um Dinge, die den Kindern wichtig sind. Und die ihnen zustehen. Dass sie sich ihre Freunde selbst aussuchen dürfen, zum Beispiel.“ Das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung wird ebenso thematisiert wie das Recht auf Familie und das Recht (und die Pflicht) zur Schule zu gehen. Illustriert haben die Kinder das Heft mit selbstgemalten Bildern.

Die UN-Kinderrechtskonvention feiert übrigens heute Geburtstag: Am 20. November 1989 wurde das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Die Kinderrechtskonvention hat die größte internationale Zustimmung von allen Menschenrechtsabkommen; sie wurde von 196 Staaten ratifiziert. 171 Staaten haben das erste Zusatzprotokoll, 177 Staaten das zweite und 47 Staaten das dritte Zusatzprotokoll ratifiziert (Stand April 2021). Deutschland trat der Konvention 1992 bei und hat alle drei Zusatzprotokolle ratifiziert.

Sabrina Banze, Bundesverband