Ein Geruch, ein Geräusch – und schon kommt die Flut überwältigender Gefühle. Plötzlich ist alles wieder da: die Schmerzen, die Hilflosigkeit, die riesige Angst. Das kindliche Gehirn ist überfordert. Der Körper reagiert automatisch. Oft viel intensiver, als es für die gegenwärtigen Umstände angemessen wäre. Das ist mitunter schwer auszuhalten. Doch genau das müssen unsere pädagogischen Fachkräfte können, um traumatisierten Kindern den Halt zu geben, den sie benötigen. Deshalb werden 14 Fachkräfte des Familienwerks Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr zu Traumapädagog*innen weitergebildet.  

„Ein Trauma ist ein belastendes Ereignis, das einen Menschen komplett überfordert“, erklärt Inka Peters, Geschäftsführerin des Familienwerks Mecklenburg-Vorpommern und selbst ausgebildete Fachberaterin der Traumapädagogik. „Das kann ein Unfall sein, ein körperlicher Missbrauch oder eine andauernde Vernachlässigungssituation, wie sie viele der uns anvertrauten Kinder erlebt haben.“

Bildhaft lasse sich ein Trauma (griechisch: Wunde) als eine seelische Verletzung verstehen, mit konkreten körperlichen Folgen. Peters: „Das Gehirn schaltet während des traumatischen Ereignisses auf Notbetrieb um, es konzentriert sich aufs ‚Überleben‘. Ein wichtiger Schutzmechanismus. Doch das Trauma verändert die Gehirnstrukturen der Kinder. Die Erlebnisse können nicht normal verarbeitet werden, Sinneseindrücke werden ungeordnet abgespeichert. Taucht dann später beispielsweise ein Geruch, den das Gehirn mit dem Trauma in Verbindung bringt, in einer ganz alltäglichen Situation wieder auf, kann dieser zum sogenannten Trigger werden – und immer wieder ein bestimmtes Verhalten bei den Betroffenen verursachen“. Manch ein Kind verfällt dann – wie damals in der traumatischen Situation – in eine Art Schockstarre, „Freeze“ genannt. Andere dagegen werden laut und aggressiv. „Wir sehen in unserem Arbeitsalltag starke Impulsausbrüche, viel Wut und Frust“, erzählt die Expertin.

„Wer dieses vermeintliche ‚Danebenbenehmen‘ nicht positiv umdeuten kann, kann den Bedarf des Kindes nicht sehen und sensibel reagieren“, sagt Peters. „Sein unbewusstes Verhalten wird vielleicht als schlecht oder absichtlich interpretiert und das ohnehin schon traumatisierte Kind erfährt Ablehnung oder eine Bestrafung für etwas, für das es nichts kann.“

In der Traumapädagogik gilt die Annahme des „guten Grundes“: Das Verhalten traumatisierter Kinder ist nicht unnormal, sondern eine normale Reaktion auf unnormale Ereignisse. Die Kinder sollen einen sicheren Ort finden, an dem sie lernen können, sich selbst zu verstehen und zu kontrollieren. Dafür braucht es eine professionelle Begleitung durch gut ausgebildete Fachkräfte.

Entsprechend wichtig ist Inka Peters, dass ihre Mitarbeiter*innen traumapädagogisch geschult werden. „Wir machen in unseren Kinderdorfhäusern selbst zwar keine Traumatherapie. Das übernehmen die Fachärzte und Therapeuten. Aber die Kinder sind ja den größten Teil der Zeit mit uns zusammen“, sagt die Chefin des Familienwerks.

Gern hätte sie ihrem Team eine solche Fortbildung wie in diesem Jahr schon früher ermöglicht. Doch finanziell war das nicht drin. „Für eine Vollzeit-Fachkraft stehen uns für ein ganzes Jahr rund 250 Euro für berufliche Qualifikation, Supervision, Fort- und Weiterbildung zur Verfügung“, so Peters. Das reiche längst nicht aus – zumal für eine so umfangreiche Zertifikats-Weiterbildung, die sich über zwölf Monate erstreckt.

Durch Spenden ist die Traumapädagogik-Fortbildung vor Ort für 14 Kolleg*innen (Kostenpunkt: rund 20.000 Euro) nun endlich realisierbar. Inka Peters freut sich sehr darüber. Sie ist davon überzeugt, dass alle Teilnehmenden davon profitieren werden – und letztlich vor allem auch die betreuten Kinder und Jugendlichen, deren seelische Wunden in den Kinderdorfhäusern des Familienwerks heilen sollen. „Traumata sind oft heilbar“, sagt Peters. „Dafür braucht es Zeit – und die richtige Begleitung.“

Sabrina Banze, Bundesverband

Foto: Konstantin Börner